Stuttgarter Zeitung, 13.10.09

> Chance nutzen Kommentar

Windkraft
Es ist höchste Zeit, dass der Landkreis Ludwigsburg sein Potenzial an Windkraft nutzt.
Von Markus Klohr

In Ingersheim muss man sich auf heftige Debatten gefasst machen. Mit viel Idealismus wagt
sich eine Bürgerinitiative an das heikle Thema Windkraft. Ihr geplantes Windrad wird schon
wegen seiner Größe Ängste wecken. Dabei haben die Streiter für eine alternative
Energiequelle mit teuren Gutachten dargelegt, dass die meisten Bedenken ins Leere laufen.
Fledermäuse und ortsansässige Vögel werden von dem rotierenden Rad nicht gefährdet. Die
enorme Höhe bietet eine hohe Leistungsfähigkeit und hat den Vorteil, dass die Bewohner
keinen Lärm fürchten müssen.

Zwar wäre das Ingersheimer Windrad schon von weitem sichtbar. Die Frage ist, ob die
Anwohner bereit sind, sich daran zu gewöhnen - so wie an die gigantische Wolke über dem
benachbarten Kernkraftwerk mit seinen unsichtbaren Nebeneffekten und seinem großen,
grauen Betonturm. Die Windkraftanlage könnte zwei Drittel des Ingersheimer Strombedarfs
decken. Gäbe es mehr vergleichbare Standorte und mehr energiepolitischen Mut, dann wäre
die viel gepriesene Energiewende nur eine Frage der Zeit.

Stuttgarter Zeitung, 13.10.09

> Bürgerinitiative plant großes Windrad

Ingersheim. Demnächst wollen Bürger den Genehmigungsantrag für die erste
Windkraftanlage im Landkreis Ludwigsburg stellen. Die rund 180Meter hohe Anlage auf der
Ingersheimer Höhe könnte den Strombedarf von 4000Personen decken. Von Markus Klohr

Das Örtchen Ingersheim liegt nur wenige Kilometer von Neckarwestheim entfernt. Das Bild
der gigantischen Kühlwolke des dortigen Kernkraftwerkes haben die meisten Ingersheimer
deshalb beinahe täglich vor Augen. "Wir müssen weg von der Atomkraft", sagt Harald
Bender, "auch wenn das nur in kleinen Schritten geht." Seit Jahren kämpft der Ingersheimer
Bauunternehmer mit einer Handvoll Gleichgesinnter für den Bau eines Windrades bei sich
vor der Haustür. "Klar wäre das ein Eingriff in die Landschaft", sagt Bender, "aber ein
Windrad produziert immerhin keinen Atommüll."

Die Gemeinde im Nordwesten des Landkreises Ludwigsburg wurde von den Planern des
Verbands Region Stuttgart (VRS) als Standort auserkoren, der sich hervorragend für
Windkraft eignet. Insgesamt neun Standorte in der Region haben Gutachter bereits vor fünf
Jahren ermittelt. In den allermeisten Gemeinden hat sich inzwischen etwas getan - nur in
Alfdorf (Rems-Murr-Kreis) und Ingersheim wurde bislang noch kein Windrad errichtet.

Die Grundvoraussetzung für die Standorte war eine durchschnittliche Windgeschwindigkeit
von mindestens fünf Metern pro Sekunde. In die laut dem VRS-Planungsdirektor Thomas
Kiwitt "sehr genaue, methodisch saubere Begründung" für die ausgewiesenen
Windkraftplätze seien auch Faktoren wie Abstand zu Wohnsiedlungen und Belange des
Naturschutzes eingeflossen. "Eine Betrachtung der Wirtschaftlichkeit konnten wir aber nicht
vornehmen", sagt Kiwitt.

Doch in diesem Punkt ist die Ingersheimer Initiative zuversichtlich. Vor allem, weil die Firma
Enercon kürzlich ein neues, speziell für den Landbetrieb optimiertes Windrad auf den Markt
gebracht habe. Mit diesem insgesamt knapp 180 Meter hohen Windrad könnte der jährliche
Strombedarf von 4000 Personen oder 1400 Haushalten gedeckt werden. Damit wäre
Ingersheim der Standort des leistungsstärksten Windrads in der Region. "Das würde richtig
etwas bewegen", sagt Harald Bender. Als Abnehmer für den Strom favorisiere man zurzeit
die aus der Anti-Atomkraft-Bewegung hervorgegangenen Elektrizitätswerke Schönau im
Schwarzwald.

Ähnlich wie beim Windrad in Welzheim im Rems-Murr-Kreis soll das kleine Ingersheimer
Windkraftwerk als Bürgerwindrad finanziert werden. Die geschätzten Baukosten von 3,5
Millionen Euro sollen über möglichst viel Eigenkapital und möglichst wenig Kredite finanziert
werden. Ab einem Betrag von etwa 2000 Euro kann jeder sich in das Projekt einkaufen.
Zurzeit sammelt man noch Geld für das letzte für die Genehmigung nötige landschaftliche
Gutachten. Kostenpunkt: 20 000 Euro.

Hanne Hallmann weiß, dass die Windkraft beileibe nicht nur Befürworter hat. Aber es
entstehe kein Abfall, der nicht normal entsorgt werden könne, sagt die Ingersheimer
Gemeinderätin, die ebenfalls Mitglied der Initiative ist. Immerhin weiß die Initiative das
Planungsrecht auf ihrer Seite. Wenn sie nun per Gutachten noch darlegt, wie der
landschaftliche Eingriff ausgeglichen werden kann, dann steht der Anlage nichts mehr im
Wege. "Wenn die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, muss die Genehmigung erteilt
werden", erläutert Andreas Schorm vom Geschäftsteil Immissionsschutz im Landratsamt.

Bereits Mitte 2010 könnte die Anlage genehmigt werden. Die Initiative hofft, dass bereits
Anfang 2011 mit dem Bau begonnen werden kann. Als letzte Hürde für das Windrad bleibt
dann nur noch der Gemeinderat. Dort will der Bürgermeister Volker Godel (FDP) sich für die
Anlage einsetzen. "Wenn wir die Energiewende irgendwie hinkriegen wollen", sagt Godel,
"dann brauchen wir solche Anlagen."


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