DPA, 19.07.09
> Lobbyisten contra Umweltgruppen
> Atomkampf im Internet
Es ist eine Frage des Glaubens. Glaubt man der Atomindustrie, dann sind Kernkraftwerke
Klimaschützer. Glaubt man den Umweltaktivisten, dann gehören sie abgeschaltet. Abseits
der hitzigen politischen Debatte nach dem Störfall im Atommeiler Krümmel gilt es, auch die
Öffentlichkeit für seine Sichtweise zu gewinnen - im Fokus steht dabei auch die freie Online-
Enzyklopädie Wikipedia. Laut der Organisation LobbyControl sind PR-Agenturen und
Tarnorganisationen damit beschäftigt, Einträge zum Beispiel bei Wikipedia zu ändern. Aber
nicht nur hier werden die jeweiligen Sichtweisen plaziert. Besonders aktiv sei in diesen Tagen
das Pro-Atom-Netzwerk "Bürger für Technik" - einige Mitglieder fielen vor allem mit
Leserbrief-Offensiven zum Thema Kernkraft auf.
"Wikipedia-Manipulation gehört heute zu den wichtigsten Aufgaben großer PR-Agenturen",
sagt auch Axel Mayer, Geschäftsführer der BUND-Regionalstelle in Freiburg. Es ist einfach,
den Korrigierer von Einträgen ausfindig zu machen. Die IP-Adresse des Computers, die bei
einer geänderten Version angegeben ist, wird bei www.coolwhois.com eingegeben und dort
wird der Standort des Computers ausgespuckt. Unter der IP-Adresse 213.183.13.20 fügte
etwa am 3. März 2006 jemand von einem Münchener CSU-Rechner ein Kapitel "Misserfolge
und Kritik" in den Eintrag zum früheren Bundespräsidenten Johannes Rau (SPD) ein. Häufig
werden solche Manipulationen aber rasch von engagierten Wikipedia-Nutzern wieder
rückgängig gemacht - zumindest, wenn sie gegen das unparteiische Selbstverständnis der
Enzyklopädie verstoßen.
Keine Angaben zu Krebserkrankungen
Beim Thema Atom tauchte in der Vergangenheit beim Eintrag zum AKW Biblis wiederholt die
IP-Adresse 153.100.131.14 auf: Der Computer steht laut "coolwhois.com" bei Biblis-Betreiber
RWE - geändert wurden etwa Angaben zu Störfällen. Auf den Seiten von deutschen
Atommeilern seien nur selten Infos über Radioaktivitäts-Abgaben im Normalbetrieb oder zu
Krebserkrankungen, kritisiert Mayer. Allein beim Eintrag zum Pannenreaktor Krümmel gab
es seit der Reaktorabschaltung am 4. Juli mehr als 120 Änderungen - die meisten waren
aber nicht tendenziös.
"Der professionelle Einsatz zum Ändern kritischer Einträge und zur Beeinflussung der
öffentlichen Meinung geschieht häufiger als man denkt", meint LobbyControl-Vorstand Ulrich
Müller. Oft träten nicht Konzerne selbst, sondern Agenturen oder scheinbar interessierte
Privatpersonen als Korrektoren auf den Plan. Müller verweist auf Fachgruppen der
Kerntechnischen Gesellschaft. Dort heißt es in einem Protokoll: "Zahlreiche Mitglieder der
Fachgruppe engagieren sich auch als Autoren bzw. Korrektoren bei ww.wikipedia.de".
Besonders das damit verbundene Netzwerk "Bürger für Technik" versuche über Leserbriefe
in Zeitungen und durch das Ändern von Internet-Einträgen eine atomfreundliche Haltung zu
befördern, sagt Müller.
Atomforum weist Vorwürfe zurück
Das Deutsche Atomforum weist jegliche Verbindung zu PR-Agenturen zurück. "Wir haben
niemanden damit beauftragt, entsprechende Einträge zu ändern", sagt Geschäftsführer
Dieter Marx. Er verweist darauf, dass zu einseitige Wikipedia-Einträge ruckzuck wieder
korrigiert würden. "Das sind alles Einzelpersonen, die da mitdiskutieren." Die Bürger für
Technik seien aktiv, ohne dass man da irgendetwas steuere. In der Kerntechnischen
Gesellschaft seien 2500 Mitglieder, auf die man nicht alle Einfluss nehmen könnte. "Wir
sehen das auch zum Teil kritisch, weil sie manchmal über das Ziel hinausschießen."
BUND-Aktivist Mayer kämpft seit Jahren gegen die Veränderung von Seiten zur Kernenergie
bei Wikipedia und das Löschen kritischer Verweise. "Einige Wikipedia-Seiten sind zwar
ausgewogener geworden, Links zu den Seiten von Atomkraftgegnern werden nicht mehr
sofort gelöscht", sagt er. "Wir haben aber das generelle Problem der Waffenungleichheit",
klagt er. "Unsere Anmerkungen und Links wurden in der Vergangenheit zum Teil nach 15
Minuten gelöscht."
Unausgewogene Informationen
Für unausgewogen hält Mayer unter anderem die Seiten der bayerischen Kernkraftwerke
Isar in der Nähe von Landshut und Gundremmingen. Vergangenes Jahr war Mayer aber
auch selbst ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, weil der BUND Freiburg als Gegenwehr so
penetrant kritische Links bei Wikipedia-Einträgen zur Atomkraft setzte, dass diese Links auf
einer Spamliste landeten.
Quelle: Georg Ismar, dpa
( http://www.n-tv.de/politik/dossier/Atomkampf-im-Internet-article417867.html )
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